Abschied von der Zweigeschlechtlichkeit

nicht-binär, inter*, trans*

Der Verein Gender/Queer e.V. engagiert sich dafür, die binäre Geschlechter-Ordnung zu überwinden, da diese durch ihre Normen und Zwänge zur Diskriminierung beiträgt und soziale Hierarchien befördert. Gesellschaftlich wird die Existenz von Menschen, die nicht in ein Schema zweier Optionen, entweder männlich oder weiblich, eingeordnet werden können oder dies nicht möchten, immer noch ignoriert oder missachtet. Die Normalität der Zweigeschlechtlichkeit bedeutet somit eine Form der Gewalt, welche durch die Medizin, das Rechtssystem sowie Erziehung und Medien ausgeübt wird. Sozial erwünscht ist, dass Individuen sich der Zwei-Geschlechter-Norm beugen. Fällt jemand aus dieser Norm heraus, hat dies Disziplinierung, Bestrafung, Unterordnung oder sogar sozialen Ausschluss zur Konsequenz.

Medizinische Missstände beenden - sex_gender depathologisieren

Ein Bereich in dem sich dieser Missstand besonders zeigt, ist die Medizin. Alle Menschen, ob nonbinär oder cis, hetero oder homo werden den medizinischen Geschlechter- und Sexualitätsnormen unterworfen. Doch trans*, inter* und nonbinäre Personen erfahren dies mit aller Macht und Gewalt. Inter*geschlechtliche Menschen werden mit körperlichen Merkmalen geboren, welche medizinisch keinem der zwei vorherrschenden Geschlechter zugeordnet werden können. Normierende medizinische Eingriffe sollen eine binäre Geschlechtszuweisung ermöglichen. Trotz eines seit 2021 in Deutschland bestehenden Operationsverbots werden inter*geschlechtliche Kinder weiterhin, ohne die Möglichkeit zur Mitbestimmung über ihren eigenen Körper, Operationen oder medizinischen Behandlungen unterzogen, die ihren Körper nachhaltig verändern, um die binäre Geschlechternorm zu erfüllen. Ebenso wie inter*geschlechtliche und trans Personen werden nicht_binäre Menschen von einer zweigeschlechtlich organisierten Gesellschaft übergangen, die nur Mann oder Frau kennt. Das geschlechtliche Selbstverständnis nonbinärer Personen widersetzt sich dem Entweder/Oder des Binären, kann fluide sein, sich Geschlechterstereotypen entziehen, Geschlecht vervielfältigen oder veruneindeutigen. Trans*geschlechtlichkeit, historisch als Transsexualität bezeichnet, unterliegt weiterhin der Pathologisierung und wird wird auch 2022 noch durch das überholte, sogenannte Transsexuellengesetz reguliert. Für Trans*geschlechtliche oder transsexuelle Personen stimmt das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht nicht mit der Geschlechtsidentität und/oder der eigenen Körpererfahrung überein. Jedoch sind Hormone oder Operationen, die ein Leben gemäß dem eigenen Körperleben ermöglichen nur verfügbar, wenn mit psychiatrischem Gutachten und nach 12 bis 18-monatiger Psychotherapie eine Behandlungsempfehlung ausgesprochen wird. Noch im Jahr 2023 wird es Trans*Personen durch die Rechtslage erschwert, Zugang zu Hormonen und medizinischen Maßnahmen zur Anpassung ihres Körpers zu erhalten. Sowohl für trans*, inter* als auch nicht_binäre Menschen ist eine selbstbestimmte und nicht-pathologisiernde medizinische Versorgung essenziell, welche sich nach ihren spezifischen Bedürfnissen richtet. Die Anliegen in Bezug auf Recht und Medizin sind nicht deckungsgleich, die Forderungen nach Selbstbestimmung und Entpathologisierung stellen eine Gemeinsamkeit dar. Für einige bedeutet dies, Zwangsmaßnahmen zu verweigern, für andere, verweigerte Maßnahmen zu erkämpfen. Um sich dem Druck der zweigeschlechtlichen Ordnung und der damit einhergehenden Gewalt zu entziehen, sind trans, inter* und nicht_binäre Personen auf mehr Unterstützung durch Recht und Medizin angewiesen.

non-binary Aktivismus

Trans, inter *und nicht_binäre Personen agieren gemeinsam unter dem Akronym TIN, um gegen die Zwänge der binären Geschlechter-Ordnung zu kämpfen. Das Sternchen* (Asterisk) signalisiert, dass hiermit keine neue Schublade geschaffen werden soll, sondern es sich hierbei um offene Kategorien und politische Identitäten handelt. Innerhalb von Gender/Queer e.V. wird aber auch darüber diskutiert, ob es überhaupt Geschlechtskategorien braucht. Ob eine sex_gender-freie Gesellschaft denkbar oder erstrebenswert ist? Und was gewonnen wäre, würde Geschlecht zumindest als Kategorie der rechtlichen Regulierung abgeschafft? Wie kann staatliches Handeln aussehen, das Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Sexualität bekämpft, aber zugleich Geschlechtszuweisungen vermeidet? Was kann von Seiten des Staates, der Bildungsinstitutionen, der Medizin und des Rechts dazu beigetragen werden, dass Menschen Möglichkeit gewinnen, sich von einschränkenden Geschlechtserwartungen zu lösen und geschlechtliche Vielfalt anzuerkennen und zu leben?
Aktivismus unter der Überschrift „nicht-binär/non-binary“ greift also weiter als der Kampf um geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung. Nicht Geschlechtsidentitäten, sondern gesellschaftliche Verhältnisse und der Widerstand gegen eine heteronormative, patriarchale Zwei-Geschlechter-Ordnung stehen im Mittelpunkt. Mit der Utopie eines Abschieds von der Zweigeschlechtlichkeit verbindet sich die Möglichkeit, sich von den Normen und Zwängen der bei Geburt in Gang gesetzten und im Laufe des Lebens verinnerlichten und eingekörperten Ordnung zu lösen. Es entstehen aber auch Chancen, gesellschaftliche Verhältnisse aktiv umzugestalten. Die Abschaffung des TSG und die Durchsetzung geschlechtlicher und sexueller Menschenrechte wären entscheidende Meilensteine in diesem Prozess.

Konkrete Forderungen sind:
  • Die Gleichstellung aller Geschlechter – und zwar, ohne die Vielfalt der Geschlechter als naturgegeben zu erklären.
  • Die Abschaffung des TSG und Verabschiedung eines Selbstbestimmungsgesetz, das auf Kategorisierung verzichtet, Entpathologisierung von Geschlecht und Sexualität konsequent umsetzt und eine staatlich finanzierte, bedürfnisorientierte Medizin begründet.
  • Die Abschaffung des staatlich forcierten Geschlechtseintrags im Personenstandsregister.
  • Die Fortsetzung und Überarbeitung staatlicher Antidiskriminierungsmaßnahmen zur Gleichstellung aller Geschlechter.
  • Die Entschädigung von Körperverletzungen durch vorherige Gesetze unabhängig von der Änderung des Personenstandes.
  • Ein Zentalregister medizinischer Akten und umfassender Meldepflicht, welche über die Verjährungsfrist hinaus bis zum 48. Lebensjahr des Patienten aufbewart werden, mit dem Betroffene nInformationen zu vergangene Behandlungen leichter zugänglich gemacht werden.
  • Infrastruktur für qualifizierte Peer-Beratung
Aktivitäten zur Verabschiedung der Zweigeschlechtlichkeit

Perspektiven jenseits von TSG und PStG45b

Offener Austausch (online oder hybrid, bundesweit), seit 2019
http://www.queer-institut.de/perspektiven-jenseits-von-tsg-und-pstg45b/
in Kooperation mit dem iQt Berlin

Räume der Achtsamkeit - Konflikt und kritische Sorgepraxen in queeren Projekten

Offene Gesprächsrunde (English und DGS) Mitwoch 08. Juni 2022

Verzicht auf Gechlechtseintrag im Personenstand

Onlinegespräch mit Prof. Davina Cooper, Mittwoch 01. Juni 2022

Gleichstellung - nicht-binär und intersektional

Diskussionsrunde anlässlich des Abschieds vom GenderKompetenzZentrum, Januar 2021

Personenstand: divers - Gleichstellung weiterdenken

Fachtagung des Gleichstellungsteams der FernUniversität Hagen, Juni 2019
https://www.fernuni-hagen.de/gleichstellung/veranstaltungen/fachtagungpersonenstand.shtml

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